Dr. Stephan Trescher

Eröffnungsrede „Connect“

17.09.2022

Taktiken der Verschleierung

von Stephan Trescher

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, werte Volksgenossen und Sojasprossen, herzlich willkommen zu diesem alle Grenzen sprengenden aber vieles verbindenden Ausstellungsprojekt „Connect“ von Maike Brautmeier und Julia Drahmann.

Seit 2019 arbeiten die Fotografin und die Malerin zusammen und das Wort von der Gemeinschaftsarbeit ist wirklich wörtlich zu verstehen, ja es geht sogar so weit, daß manchmal die Fotografin malt und ab und an die Malerin hinter der Linse steht.

Dabei werden die Genregrenzen so häufig hin und her überschritten, daß sie vollkommen durchlässig werden, bis sie sich auflösen oder, sofern noch vorhanden, vollkommen bedeutungslos werden.

Das aber wiederum ist ein Faktum, das an sich höchst bedeutsam ist! Daß man Malerei und Fotografie auseinanderhalten kann, das würde ja nun jede geschulte Betrachterin, jeder einigermaßen versierte Betrachter von sich behaupten ­ also eigentlich alle, die wir hier versammelt sind. Aber da täuscht man sich, da staunt der Fachmann und der Laie tut das, was er immer tut, sich wundern, denn genau diese Unterscheidung machen uns die beiden Künstlerinnen hier unmöglich.

Das liegt natürlich zuerst einmal daran, daß jede von ihnen ihr Handwerk perfekt beherrscht. So daß sie es nach Belieben zu Nutzen und Frommen des gewünschten Bildes einzusetzen vermögen, die Fotografin Maike Brautmeier beispielsweise, um den Fokus auf eine ganz bestimmte, vorherrschende Farbigkeit zu richten (oder eine ganz und gar unwirklich scheinende Situation zu inszenieren), die Malerin Julia Drahmeier, um verblüffend naturalistische, nicht selten fotorealistische Bildpartien zu schaffen.
Insbesondere was transparente und transluzente, also durchscheinende Materialien angeht, hat sie es zu einiger Meisterschaft gebracht. Gläser mit all ihren Reflexen, textile Schleier und Vorhänge tauchen in den Bildern häufig auf ­ und sie beherrscht sogar den illusionistischen Zauber, daß sich feste Materialien wie massive Wände aufzulösen scheinen und ebenfalls durchsichtig werden. 

Was bedeutet, daß die gemalte Wirklichkeit diejenige außerhalb der Leinwand schon einmal übersteigt.

Wenn aber diese bemalte Leinwand nicht einfach ein Stück Stoff ist, ein neutraler Hintergrund, sondern bereits ihrerseits ein Bild, eine ausgeduckte Fotografie nämlich, dann wird es gänzlich unübersichtlich ­ und dann fängt es an, richtig Spaß zu machen.

Vielleicht sollte ich als seriöser Kunsthistoriker das als Kategorie nicht einführen, Spaß, aber es bereitet einfach großes Sehvergnügen, sich die Ergebnisse der Kollaborationen von Brautmeier und Drahmann zu betrachten ­ nicht im Sinne einer detektivischen Aufgabe, bei der man versucht, genau zu entschlüsseln, wer von den beiden was gemacht hat, was also gemalt und was fotografiert ist (auch wenn das ein bißchen Extravergnügen bereiten kann, das gebe ich ja zu), sondern in dem genussvollen Taumel, der einen überfällt, wenn man merkt, daß einem gerade der Boden aller Gewissheit unter den Füßen oder eher aus den Augen, aus dem Hirn weggezogen wird, eine Art von angenehmem Schwindel, dem man sich getrost überlassen kann, weil klar ist, daß man nicht tief fallen wird ­ allerhöchstens in eine Art von Kaninchenloch, an dessen Ende man, ähnlich wie Alice bei ihrer Rutschpartie, sich in einer anderen Wirklichkeit wiederfindet. Und staunt, was einem hier alles begegnet:

 Eine junge Frau, die nichts am Leib trägt außer einer Gasmaske, mit der sie sich unter Wasser fortzubewegen scheint, elegant schreitend und von etlichen wunderbunten Fischen umgeben,

eine ebenfalls ziemlich nackte, ziemlich schwangere Frau, von deren prallem Bauch ein Kälbchen die Milch leckt, die der Frau beim Trinken aus der Flasche aus dem Mund rinnt, 

eine Frau im rosaroten Abendkleid, gefangen in einer riesenhaften Glasglocke.

Aber auch Motive, die überhaupt nichts Illusionistisches an sich haben, die bewußt jedweden Naturalismus in der Darstellung unterlaufen ­ weshalb man sie im ersten Moment natürlich ausschließlich dem Bereich der Malerei zuschlagen möchte, bevor man dann feststellt, daß auch hier zumindest fotografische Anteile vorhanden sind, mögen sie noch so grob und wild überstrichen sein.

Auch hier gilt es wieder zu differenzieren:

Da sind zum einen jene Bilder, die sich deutlich als übermalte zu erkennen geben:
Das kann aussehen wie bei Aussicht 2: Ein grob zugemaltes Porträt, wo die in wilden Pinselzügen über das Gesicht gelegte, gestrichene oder vielmehr hingehauene weiße Farbe aber zart genug aufgetragen ist, daß sie etliche Partien des Gesichtes noch ganz frei und alle andern unter der Farbe immer noch durchschimmern lässt, wie unter einem Brautschleier hindurch. Die anfänglich rein destruktiv daherkommende malerische Geste erweist sich so als höchst raffinierter Schachzug, der durch den Akt des Verbergens und Verschleierns eine neue Spannung ins Bild bringt und erstaunlicherweise (das ist wohl unserer Einbildungskraft als Betrachter geschuldet) aus dem eher grob gerasterten , flächig wirkenden Siebdruck des Porträt-Kopfes ein scheinbar „echteres“, realistischeres und plastischeres Antlitz hervorzaubert  –nur weil wir es hinter der Farbe vermuten.

Ganz anders sieht es aus bei Blumenwiese, da ist das Gesicht der Frau im gelben Kleid tatsächlich mit pastoser, senf- bis rapsgelber Farbe dick zugespachtelt, wie auch weite Partien des Bildes, wenn auch da etwas dünner. Hier überwiegt dann doch der zerstörerische Charakter einer Gesichtsauslöschung, einer malerischen Anonymisierung der Figur –auch wenn der Gesamteindruck von Blümchenkleidmädchen in sonnenbeschienener, hochstehender Blumenwiese in Weiß und Gelb und Grüntönen irgendwie freundlich-sommerlich und harmonisch bleibt.

Dann gibt es auch Bilder wie Polaroid, wo das Übermalen des Gesichtes eher ein abstraktes Gegengewicht zur ursprünglich anzunehmenden Porträtabsicht darstellt: Die deckend aufgetragene gelbe Farbe läßt nur die Accessoires von Mütze und Handschuhen frei, die ihrerseits farblich dem Leinenhintergrund so ähneln, daß sie beinahe mit ihm verschmelzen. Das heißt: Sowohl die fotorealistischen als auch die grob malerischen Teile verbinden sich in der Fläche zu einer Umrißkomposition, die an Pop-Art Gemälde aller Art, vor allem aber von Martial Raysse denken lässt.

Außerdem gibt es da noch die Stehende, eine nur als Silhouette im Gegenlicht erkennbare Frau im gemusterten Kleid, deren emporgeworfene langen Haare ihren Kopf umstehen wie eine lodernde Flamme. Ihr begegnet eine Flächenkomposition mit schwarzem horizontalem Balken vor warm pastellgelber Grundfläche, die den figürlichen Umriß quasi nur noch als senkrechte geometrische Figur gelten lässt, als ein Rechteck mit angesetztem Pinselstrich.

 

Vollends verschwinden tut die Figur dann in Wasserpistole 2, wo zwischen Knie und Bauchnabel die weibliche Gestalt zwar sichtbar wird (samt gelbem Höschen und gelbem, bunt geblümtem Oberteil), der Rest aber wird von einem perfekten weißen Rechteck komplett verdeckt, das seinerseits an manchen Stellen mit der Wasseroberfläche zu verschmelzen scheint, die den Großteil des Bildes ausmacht.

Diese Art der Unkenntlichmachung erinnert stark an den digitalen Werkzeugkasten zur Bildbearbeitung, wie er heute jeder Smartphone-Nutzerin zur Verfügung steht – so daß man auch hier wieder einen rein digitalfotografischen Entstehungsprozess vermuten würde.

Und schließlich gibt es noch die perfekte Synthese oder Symbiose, wo die Malerei sich zwar nicht in den Vordergrund drängt, aber als solche erkennbar bleibt ­ diesmal allerdings nicht im Dienste der Illusion, da das entstehende Bild eine ganz eigene Wirklichkeit für sich beansprucht.

Ich rede hier vor allem von dem bezaubernden Bild Sonnenschirm. Wir sehen die Silhouette einer weiblichen Figur, barfuß gehend, offensichtlich von hinten gesehen, mit durchsichtig gelb leuchtender Plastikwasserpistole in der linken Hand und in der rechten einen  geschulterten Sonnenschirm tragend, durch dessen geblümten Stoff das Sonnenlicht dringt.

Im oberen Bilddrittel sieht man noch neben der weißen Glut des Himmels die Umrisse von belaubten Baumkronen, die zwei unteren Drittel sind von einer Art rosaroten, wolkigen Fläche gefüllt, die die Figur geradezu zum Schweben bringt, jedenfalls in einen Nicht-Raum versetzt, durch den sie schreitet. Und zur Krönung des Ganzen ist der Frauenkörper genauso geblümt wie der Sonnenschirm auf ihrer Schulter, nur eben etwas schattiger, dunkler. So daß wirklich niemand mehr weiß, wo die Malerei anfängt und die Fotografie aufhört, wo das Leben, wo der Traum.

An dieser delikaten Grenze, meint man, müßte man aufhören. Aber nein, es kommt noch besser! Denn jetzt wird’s körperlich.

Das, was in Arbeiten wie Polaroid schon angedeutet wird, findet seine systematische Fortsetzung in einer ganzen Serie von kleinformatigen Bildern, in denen das Verschleiern nicht nur als malerisch-bildnerische Taktik eingesetzt wird, sondern auch als Motiv ­ genauer gesagt ist es eine doppelte Thematik, nämlich das Verbergen und das Enthüllen, das Verschleiern und Entschleiern, profaner gesagt: Das An- und Ausziehen. 

Fotografien von (in der Regel jungen und weiblichen) Menschen, die offenbar im Begriff sind, sich ein Kleidungsstück an- oder auszuziehen. In solch einem Augenblick macht schon der normale Mensch die erstaunlichsten Verrenkungen ­ in diesem Falle scheinen es aber ganz besonders gelenkige und bewegliche Menschen zu sein, Tänzerinnen vielleicht, die noch bemerkenswertere Haltungen einnehmen können. So entstehen im Zusammenspiel von Körper und oft seltsam gedehnten und verdrehten Stoffen erstaunlich skulptural anmutende Posen, die eine geschlossene Gesamtform bilden, aber trotzdem irritierend fragmentiert wirken. In so einem halb an- und halb ausgezogenem Zustand erhascht man nämlich oft verblüffende Teil-Ausblicke auf Haut und Textil, auf bloße und bedeckte Haut, den nackten und den bekleideten Körper.

Zu diesen an sich schon fragmentarisch verfremdeten Körperbildern (irgendwo zwischen Hannah Höch und Erwin Wurm) treten nun noch die genuin bildnerischen Zugriffsmethoden von Brautmeier und Drahmann, sie arbeiten mit Doppelbelichtungen und Maßstabsverschiebungen ­ und natürlich Übermalungen.

Die sind hier eher zurückhaltend, aber nicht minder effektvoll; häufig wird der monochrome Hintergrund so erweitert, daß er große Partien des Körpers abdeckt, so daß am Ende ganz und gar unwahrscheinliche, abstrahierte Formen entstehen, die viel eher in der Fläche als im dreidimensionalen Raum verortet scheinen.

Bei diesem wunderbar austarierten Balanceakt zwischen Fläche und Raum auf der Bildoberfläche könnte man nun stehenbleiben und bewundernd verharren.

Aber nein – denn es kommt noch besser! Maike Brautmeier und Julia Drahmann haben sich mit der Choreographin Katrin Banse zusammengetan, und gemeinsam haben sie diese skulpturalen Bilder nicht nur vollends in die dritte Dimension befördert, sondern auch noch in die vierte, also die zeitliche. Sprich: Sie haben diese in sich verschlungenen Körperbilder auf sich bewegende Körper von Tänzerinnen projiziert, die damit zu bewegten Skulpturen werden, die die Bilder auf ihren, praktischerweise weiß bekleideten, Körpern nachahmen, brechen, vervielfachen, kurz: auf mannigfache Weise dynamisieren.

Ob man diese sich überlagernden, fließend ineinander übergehenden, mehrfachen Identitäten und körperlichen Zu- und Überschreibungen eher politisch, psychologisch oder poetisch ausdeutet, bleibt jedem selbst überlassen.

Das Gute ist, daß man darüber lange nachsinnen kann, denn freundlicherweise haben die Künstlerinnen von dieser flüchtigen Projektions-Tanz-Performance bereits ein Video erstellt, das man in der Ausstellung fortlaufend betrachten kann.

Bevor Sie sich dem zuwenden ­ oder aber jetzt gleich der noch spannenderen, weil unmittelbaren Live-Performance der „bewegten Skulpturen“, möchte ich nun aber endlich und wahrhaftig aufhören ­ und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

Get connected!

Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Connect“ von Maike Brautmeier und Julia Drahmann in der Ausstellungshalle am Hawerkamp, Münster, am 17. September 2022

Ulrike Feierabend
Rede zur Finissage "Connect"
09.10.2022 

So, das ist also das Ende! — Heute ist der letzte Tag der Ausstellung „Connect“ von Maike Brautmeier und Julia Drahmann. Genau aus diesem Grund sind wir hier. Die Kunstwelt nennt es „Finissage“. Denn es ist ein feierlicher Abschluss. Umrahmt von einem festlichen Programm beendet sie dieses Ereignis. Die gezeigten Arbeiten verlassen diesen Raum. Ist das also wirklich ein Ende?

 

Jedes Ende ist auch ein Begrenzungspunkt, eine Grenzlinie zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wir können Sie zeitlich und räumlich verstehen. Dieser Grenzpunkt teilt einen Ort, ein Ereignis von unserem momentanen Erleben, von den realen Möglichkeiten der Dinge, die uns umgeben. Allerdings sind es genau diese Arbeiten, die uns hier umgeben, die die Möglichkeit in sich tragen, Teile der Gegenwart in ganz persönlicher Form mit in die Zukunft zu nehmen und damit werden sie in den Kontext einer neuen Gegenwart gestellt. Und es sind genau diese Arbeiten, die Grenzen aufheben — eine Verbindung herstellen zwischen verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen: der Fotografie und der Malerei; — der Fotografie, der Malerei und dem Tanz. Und die Verbindung zwischen dem künstlerischen Ergebnis und dem Betrachter.

 

Liebes Publikum, sehr geehrte Damen und Herren, herzlich Willkommen zum letzten Tag dieser Ausstellung von Julia Drahmann und Maike Brautmeier. Umrahmt wird dieses Ende der Ausstellung von „Bewegten Skulpturen“ einer installativen Tanzperformance von Katrin Banse. Dazu kommen wir später noch ausführlich. Dies ist ein Versuch sich den Arbeiten nach einer dreiwöchigen Ausstellungszeit noch einmal  zu nähern, in der räumlichen Nähe das Zulassen von Distanz, die zwischen dem Betrachter und dem Bild bleibt und in der gedanklichen Konfrontation das Auflösen von Distanz. Dadurch enthüllen die Arbeiten, dass jenseits einer rein naiven Betrachtung und wissenschaftlich fundierten Beschreibung, ein Inhalt auftaucht, der eine Möglichkeit ist. Vielleicht ist er ein realer Irrtum, vielleicht eine irrtümliche Realität. Die Möglichkeiten dieser Kontraste sind für mich der dramaturgische rote Faden, den die Arbeiten verbinden und auszeichnen. 

 

Begreifen wir die Fotografie, die Malerei, den Tanz und die Musik als Sprache, dann akzeptieren wir auch die Vorstellung, dass Sie geistige Inhalte transportieren.  Das geistige Wesen eines Objektes – sprich einer jeden Arbeit, besteht in seiner Sprache. In der Komposition von Zeichen, Elementen, ihrer Anordnung usw. gibt sich die Sprache in der Kunstform zu erkennen. Bleibt die Frage:  Ob es immer eine Identität zwischen dem Geistigen und dem sprachlichen sprich künstlerischen Wesen gibt. Das geistige Wesen ist nur insoweit mit dem sprachlichen identisch, insofern es mitteilbar ist. Wir teilen uns in der Sprache mit, nicht durch die Sprache. Dies ist keine Spitzfindigkeit in der Formulierung, es ist eine Position, die bezogen auf die Kunst, die Aussage zulässt, dass Künstler:innen sich in der Kunst mitteilen und nicht durch die Kunst, denn das würde voraus setzen, dass Kunst als Sprache ein Teil von uns ist. Hier hängen die Arbeiten als eigenständige Objekte, sie sind außerhalb der Künstler:innen und entwickeln ein eigenständiges, unabhängiges Wesen, das sich durch die Konfrontation mit dem Publikum entfaltet. 

 

Maike Brautmeier und Julia Drahmann haben eine persönliche Sprache / Ausdrucksform entwickelt, eine Sprache, die ihre Elemente aus verschiedenen Kunstformen bekommen hat. Der Fotografie, der Malerei, dem Tanz, der Musik und der Videografie. Das Herausragende Phänomen in diesem Fall ist, dass für die Decodierung dieses neuen Sprachsystems die Arbeiten selber zu Hilfe genommen werden. Jede Sprache, jede Ausdrucksform teilt sich selbst mit. Ein mutiges Wagnis des Künstler:innen Kollektivs, das Ergebnis ihrer eigenen Sprache, am Ende frei zugeben. Und damit das Medium Kunstobjekt eindeutig und klar von dem geistigen Wesen zu unterscheiden. Jedes Kunstwerk teilt sich selbst mit, das was es sagt, ist das künstlerische Wesen der Dinge. Dieser Gedanke ist ca. 130 Jahre alt, sein berühmtester Vertreter Erwin Panofsky, lässt sich frei ungefähr so zitieren, „es gibt nicht die eindeutige Botschaft eines Kunstwerks, es geht auch nicht darum, zu verstehen, was der Künstler gemeint hat. Es geht darum, dem zu begegnen, was außerhalb der Künstler:innen als eigenständiges Objekt erscheint.“

 

Jede Arbeit in diesem Raum bietet eine Möglichkeit an, zu suchen, zu erkennen, zu entdecken und neues zu denken. Die Arbeiten überschreiten Grenzen verschiedener Genres, dadurch passiert das Unerwartete, die Künstler:innen nennen es eine Bühne für die Imagination des Betrachters. Durch die Neukomposition von Elementen entwickelt sich die künstlerische Essenz der Arbeiten: Das Offensichtliche enthüllt bisher Unsichtbares, gewohnte Vorstellungsbilder verwandeln sich zu Ungewohntem, das vorhersehbare Narrativ wird außer Kraft gesetzt und es öffnet sich ein Raum für plurale Fiktionen. — Das Offensichtliche verlassen und Grenzen überschreiten.

 

Mir gefallen insbesondere die Kraft der Arbeiten, die Darstellung und die Komposition. Sie bietet sich als Phänomen an, die eigenständige Körperlichkeit jedes einzelnen Bildes ist sichtbar – wird spürbar. Die Arbeiten verführen nicht dazu, hinter dem Phänomen nach einer allgemeingültigen Botschaft zu suchen. Der Betrachter bleibt außerhalb. Dieser Gedankenkreis führt uns an den Anfang zurück: Wir erleben eine räumliche Nähe und gleichzeitig eine Grenzerfahrung, Grenzen schaffen Struktur und Sicherheit. Sie halten fest, zusammen, umklammern. Das Auflösen von Grenzen bedeutet Veränderung, Bewegung, die Konfrontation mit der Essenz des Betrachters. Ein fein gewebter Inhalt fügt sich hinzu.

 

Wenn das hier (Bilder, Tanzperformance, Musik) gerade der Beginn der letzten Epoche einer „künstlich inszenierten“  Utopie ist/wäre, dann wird wie alle Ressourcen auch die Zukunft knapp. Kontraste wiegeln auf, bieten Gedankenecken, holen verborgene Zweifel hervor. Reale Elemente schaffen surreale Erfahrungsbilder, bewusste Inhalte führen zu unbewusstem Erkennen, aus zufällig wird geplant, die Zukunft betritt einen neuen Raum. 

 

Und in diesem Raum werden wir zwei Tänzerinnen begegnen, die jede für sich, gemeinsam und in Resonanz mit einem scheinbar bildhaft, videografisch hinzugefügten Ich ein Wir entstehen lassen. Mit bemerkenswerter Sicherheit überlässt die Choreografin Katrin Banse den beiden „Ichs“ den Raum für eine entgrenzte Reflexion ihrer Selbst. Entgrenzt durch das Zusammenspiel verschiedener Ausdrucksformen, durch die Freiheit in der Choreografie, die doch am Ende das große Ganze inszeniert und als installative Tanzperformance zusammenhält. Gerade bei diesem künstlerischen Akt trennt die Essenz der Darbietung den mittelbaren Ausdruck (die Musik, die Bewegung, das „Aufeinanderzubewegen“ der Tänzerinnen, die videografische Darstellung), von dem was sich in ihr mitteilt. Und damit drängt sie sich nicht mit dem Anspruch auf, all das zu sein, was sie ausdrücken könnte, was möglich ist. Katrin Banse gelingt choreografisch eine Transformation von Sichtbarem ins Unsichtbare, von Gewissheit in Vermutung, von Selbstbewusst in das unbewusste Selbst, eine Transformation deren Wesen sie den Tänzerinnen überlässt. In der Konfrontation mit dem Publikum kann aus der Gegenständlichkeit der Darbietung ein „Plurales“ Empfinden werden, das verzweifelt nach einer Struktur, einem Halt sucht. Der Betrachter fügt seine persönlichen Grenzen hinzu und schon hat die Tanzperformance einen weiteren Raum geschaffen. „Bewegte Skulpturen“ jenseits unserer Vorstellung von unverrückbar, von regungslos und starr, hält Katrin Banse das Offensichtliche fest und gibt das Unerwartete frei. Diese installative Tanzperformance trägt die  permanente Vergänglichkeit in sich. Jeder Ton, jedes Bild, jeder Schritt, jedes Ineinanderfließen kann weder Zeit noch Raum gestalten. Was an Gestalt bleibt sind die Bilder in dem Betrachter. Doch auch diese Gedankenskulptur bewegt sich mit jedem Versuch, sich zu erinnern und diese Erinnerung in der Sprache zu zeigen.

 

Im Gespräch mit den Künstler:innen (Namen nennen) eroberte sich die Inspiration einen entscheidenden Platz in dem Prozess. Einander anregen, begeistern, die Sicherheit bekannter Vorstellungen und künstlerischer Wege verlassen, Grenzen auflösen und doch zusammenfinden. Ein wesentliches Merkmal der gemeinsamen Arbeit der beteiligten Künstler:innen war ihre Eigenständigkeit, die ihren Ausdruck in dem Zusammenfließen der Elemente aus den verschiedenen Kunstformen gefunden hat.

Vielleicht war dies auch nur möglich, weil sie sich einander anvertrauen konnten, experimentell, strukturlos, wertfrei, um dann verbindlich, ordnend und klar in der Arbeit zu werden.

 

Das Ergebnis dürfen wir hier und jetzt noch einmal erleben. Ich freue mich darauf und ich freue mich sehr, es mit Ihnen teilen zu dürfen. 

Ich danke Ihnen!